1. Primäre PräventionDie
primäre Prävention will flächendeckend im Vorfeld wirken, damit es gar
nicht erst zu sexuellen Übergriffen kommt. Das oberste Ziel ist also das
Verhindern von sexueller Gewalt.
2. Sekundäre PräventionDie
sekundäre Prävention ist der Intervention gleichzusetzen, da sie eine
möglichst frühzeitige Aufdeckung und Beendigung von tatsächlich
stattfindendem Missbrauch zum Ziel hat. Es geht hierbei sowohl um die
Aufdeckung zurückliegender Missbrauchsfälle, als auch um die Aufdeckung,
Benennung und Unterbindung von bestehenden, fortdauernden
Missbrauchserlebnissen (=Intervention).
3. Tertiäre Prävention Die
tertiäre Prävention ist untrennbar mit dem Begriff der Rehabilitation
verbunden; hier geht es um die Minderung von Folgeschäden. Ziel der
tertiären Prävention ist die Aufarbeitung von erlebten
Gewalterfahrungen.
Die
genannten Präventionsformen lassen sich jedoch selten voneinander
trennen, häufig gehen sie ineinander über. Wenn mit Kindern und
Jugendlichen präventiv im Sinne der Primärprävention gearbeitet wird,
muss stets der Aspekt der sekundären Prävention berücksichtigt werden,
da es durch vorbeugende Präventionsbemühungen zur Aufdeckung eines
Missbrauchs kommen kann.
VoraussetzungenDer
Erfolg von schulischer Prävention hängt u.a. von den jeweiligen
Rahmenbedingungen einer Institution und deren Personen ab. In einigen
Bundesländern gibt es mittlerweile administrative Verankerungen in den Lehrplänen, die die präventive Arbeit gegen sexualisierte Gewalt als verbindliche Aufgabe der
LehrerInnen festschreiben.Viele PädagogInnen sind inzwischen von der
Notwendigkeit überzeugt, mit Kindern präventiv zu arbeiten. Eine offene Sexualerziehung ist
eine wichtige Voraussetzung für eine angemessene Präventionserziehung
und sollte durch Informationen über sexuellen Missbrauch und das
Selbstbestimmungsrecht von Kindern ergänzt werden.
Darüber
hinaus ist es für die pädagogische Praxis bedeutsam langfristig zu
arbeiten (kein einmaliges Programm zu ‘absolvieren’), Wiederholungen der
Inhalte vorzunehmen, altersspezifische, interkulturelle und
geschlechtsspezifische Angebote zu machen, Inhalte handlungsorientiert
umzusetzen und die Eltern in das Präventionskonzept einzubeziehen.
Ansätze
Präventionsbemühungen
zum Schutz des Kindes vor sexueller Gewalt gibt es nicht erst, seitdem
das Problem in den letzten zwanzig Jahren ans Licht der Öffentlichkeit
geraten ist. Althergebrachte Präventionsstrategien wie ‘geh nie mit
einem Fremden mit’, ‘steig in kein fremdes Auto und nimm nichts von
Fremden an’, richteten sich lange Zeit an Kinder, insbesondere an
Mädchen.
In
den Schulen hat das Thema des sexuellen Missbrauchs erst in den letzten
Jahren an Bedeutung gewonnen. LehrerInnen handelten bis dahin im Sinn
der althergebrachten Prävention: sie beschränkten sich darauf, „sich den
elterlichen Warnungen an die Kinder vor fremden Männern und dunklen
Wäldern anzuschließen.“
PräventionsbausteineHeute
fest in der Präventionsarbeit verankert sind die folgenden inhaltlichen
Schwerpunkte, die sich im Rahmen der Veränderung der Präventionsansätze
für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen herauskristallisiert haben.
Als
Reaktion auf die gezielten Strategien der MissbrauchstäterInnen und
deren oft nahezu identischen Vorgehensweisen, mit denen der Kontakt zum
Kind aufgebaut, das Kind gefügig gehalten und am Reden gehindert wird,
wurden sechs zentrale Themen für die präventive Arbeit entwickelt.
Die
genannten Präventionsbausteine beziehen sich weitgehend auf den Primar-
und Sekundarbereich. (siehe Projekte) Präventive Arbeit mit älteren
Jugendlichen und jungen Erwachsenen erfordert einealtersspezifische Differenzierung der
Präventionsbausteine. Im Mittelpunkt der Präventionsarbeit steht mit
dieser Altersgruppe die Stärkungsarbeit zur Selbstwahrnehmung. Themen
wie Liebe, Beziehung, Freundschaft, Sexualität, rollenspezifisches
Verhalten sind weitere Inhalte, die in der vorbeugenden Arbeit mit
Jugendlichen behandelt werden. Ein wesentlicher Beitrag zur Prävention
ist dieAufklärung über die Tatsache, dass es sexuellen Missbrauch gibt und dass Hilfe möglich ist.
Präventionsbausteine:
- Bestimmungsrecht über den eigenen Körper. Das bedeutet, Kinder haben ein Recht darüber zu bestimmen, wer sie wann und wie anfasst. Gleichzeitig sollen sie erfahren, dass ihnen ihr Körper ganz alleine gehört und sie das Recht haben, über ihn zu bestimmen. Sie sollen ihren Körper als wertvoll und liebenswert begreifen, Wissen über ihn, sowie eine Sprache für ihn haben
- Wahrnehmung von Gefühlen/ Vertrauen auf die eigene Intuition. Kinder sollen ihre eigenen Gefühle wahrnehmen lernen und auf ihre Intuition vertrauen. Im Umgang mit Menschen ist das Vertrauen in die eigenen Gefühle ein grundlegender Selbstschutz. Gefühle müssen als wichtige Selbstschutzmomente des Körpers begriffen werden.
- Unterscheidung zwischen ‚guten‘, ‚schlechten‘, ‚komischen‘ und ,verwirrenden‘ Berührungen. Mit den Kindern wird geübt, Berührungen und deren Abhängigkeit von Personen, Situationen und Umständen einzuordnen und zu bewerten. Hierbei soll auch auf Veränderungen im Empfinden von anfänglich schönen Berührungen eingegangen werden.
- Umgang mit Geheimnissen. Kinder müssen wissen, dass es Geheimnisse geben kann, über die sie sprechen dürfen, auch wenn es ihnen ausdrücklich verboten wird. Deshalb sollen Kinder lernen, dass es ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Geheimnisse gibt und wie diese zu unterscheiden sind.
- Nein-Sagen-Können und Ja-Sagen-Können: Kinder haben das Recht, Nein zu sagen, wenn sie auf eine Art angesprochen oder berührt werden, die ihnen nicht gefällt. Sie lernen, dass es aber nicht immer einfach ist, Grenzen zu setzen. Wichtig ist, dass Kinder lernen, sich für eine missglückte Grenzsetzung nicht schuldig zu fühlen. Ebenso notwendig ist die Auseinandersetzung mit beglückenden und erfüllenden Begebenheiten, Empfindungen und Berührungen, die es zu bejahen gilt.
- Hilfe holen /Informationen über Unterstützungsangebote. Kinder benötigen Hilfe von Gleichaltrigen und Erwachsenen. Jedes Kind hat ein Recht, sich Hilfe zu holen, wenn es sich ängstigt oder sich über eine Situation ungewiss ist. Die Kinder erhalten Informationen über Personen und Institutionen, bei denen sie Unterstützung bekommen können, falls sie Hilfe benötigen. Sie erfahren, dass sie Hilfe holen und über ihre Sorgen sprechen dürfen, auch wenn es jemand ausdrücklich verboten hat. Die Schwierigkeit des Hilfe-Holens darf dabei jedoch nicht übersehen werden.
Diese
einzelnen Präventionsschwerpunkte werden in der pädagogischen Praxis
auf unterschiedliche Art und Weise behandelt, zum Teil werden die
Themenkomplexe noch erweitert, so z. B. die Bekräftigung, dass kein
Erwachsener das Recht hat, Kindern Angst zu machen, die Benennung
konkreter Hilfsadressaten und die Bekräftigung, dass ein Kind niemals
Schuld an einem sexuellen Missbrauch hat.
Neben den Präventionsbausteinen ist ein weiterer wichtiger Aspekt der Prävention eine offensive Sexualerziehung.
Kinder haben ein Recht auf eine umfassende Sexualerziehung schon in der
Grundschule. Sexualerziehung unter Einbeziehung des Körpers, der
Sprache und allen Sinnen ist die beste Lebenskompetenzförderung. Das
Wissen um die eigene Sexualität und eine Sprache für den Körper,
einschließlich der Geschlechtsteile, kann Mädchen und Jungen vor
unerwünschten und zugemuteten sexuellen Übergriffen und körperlichen
Berührungen schützen. Unwissende sind gefährdete Kinder, weil TäterInnen
dadurch die Möglichkeit gewinnen, ihr Handeln als etwas Normales für
ein Kind zu erklären.
Qualität
Qualitative,
gute präventive Arbeit in Schule und Jugendhilfe erfordert – vor Beginn
der Durchführung – eine Fortbildung und Selbsterfahrung der
LehrerInnen.
Ferner sollte die präventive Arbeit aus drei aufeinander aufbauenden Bestandteilen bestehen:
- Schulung/Information der verantwortlichen PädagogInnen
- Information der Eltern
- Pädagogische Arbeit mit Mädchen und Jungen (vgl. Kavemann u.a. in: Kavemann & Bundesverein 1997, S.14)
LehrerInnen
müssen demnach Informationen über die neusten Forschungsergebnisse zur
sexuellen Gewalt gegen Kinder und über Interventionsmöglichkeiten
erhalten, da Prävention aufdeckende Wirkung haben kann. Eine
Zusammenarbeit bzw. eine Kontaktaufnahme mit Institutionen oder sozialen
Diensten ist sehr sinnvoll.
Schule,
auf sich allein gestellt, ist mit dem Problem des sexuellen Missbrauchs
häufig überfordert. Deshalb sollte der Präventionsbeitrag von Schule
grundsätzlich immer in Zusammenarbeit mit außerschulischen
Facheinrichtungen erfolgen.
“[...]
LehrerInnen haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, sich vor Beginn
der Präventionsreihe bei unterschiedlichen Institutionen umzusehen und
sich durch Vorabgespräche eine Art Netzwerk von geeigneten
AnsprechpartnerInnen zur eigenen Sicherheit zu schaffen.
Intervention
Wer
Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern/ Jugendlichen beobachtet und
sexuellen Missbrauch vermutet, sollte folgende Handlungsschritte
beachten:
- Ruhe bewahren, überstürztes Eingreifen schadet dem Kind nur! Kollegin/Kollege oder andere Vertauensperson suchen, um mit dieser über die eigene Unsicherheit zu sprechen.
- Den Kontakt zum Kind vorsichtig intensivieren, um eine positive Beziehung herzustellen.
- Das Kind immer wieder ermutigen, über seine Probleme und Gefühle zu sprechen.
- In der Gruppe das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und das Thema “sexueller Missbrauch” vorsichtig ansprechen und damit signalisieren: “Ich weiß, dass es sexuellen Missbrauch gibt…; Mit mir kannst du darüber reden…; Ich glaube betroffenen Mädchen und Jungen.”
- Eine Beratungsstelle einschalten; sich selbst mit Informationen versorgen. Hinweise auf den sexuellen Missbrauch notieren. (Tagebuch über die Verhaltensweisen und Aussagen des Kindes führen)
- Wenn möglich, den Kontakt zur Bezugsperson des Kindes intensivieren, um die Belastbarkeit dieser Person besser einschätzen zu können. Kontakt zum Jugendamt aufnehmen (ggf. ohne Namensnennung), oder zu anderen professionellen Institutionen oder Gruppen.
- HelferInnenkonferenz anstreben, damit alle, die Kontakte zu der Familie haben, gemeinsam eine Strategie absprechen können. Niemals einen Missbrauchsverdacht offen legen, ehe eine räumliche Trennung von Opfer und Täter vorbereitet und möglich ist bzw. es eine erwachsene Person gibt, die sich deutlich auf die Seite des Opfers stellt.
- Eine evtl. Anzeige mit einer Anwältin/ einem Anwalt zuvor durchsprechen und gut vorbereiten. Niemand ist zur Anzeige verpflichtet!
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